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Jochen Stopperam

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Hans Dörfert
Wilhelm Wolter
Geschichtskommission
Vom VEB zur AG

 

Bericht von Wilhelm Wolter über die Elektrifizierung auf dem Lande in Mecklenburg in den Jahren 1949 bis 1957.

1952, Wilsen im Kreis Güstrow. Die Familie des Neubauern Naumann (vor der Bodenreform Landarbeiter) erhält erstmalig elektr. Licht in die Wohnung.

Foto von Walter Bedau, enthalten im Betriebsarchiv des Energiekombinats Schwerin.

Mecklenburg wird am 12. Oktober 1995 sein 1000-jähriges Bestehen feiern. Die Grundlage dieses Ereignisses geht auf die "Acta Michelenburg" zurück. Kaiser Otto III. war zu dieser Zeit erstmalig in dieser bei Wismar gelegenen Burg, die später Mecklenburg den Namen gab und hat sich hier "verewigt". Es handelt sich hier um die erste urkundliche Erwähnung von Mecklenburg. Unser Land war damals von wendischen Stämmen bevölkert. Im 11. und 12. Jahrhundert wurden von den Sachsen Raubzüge in das wendische Land unternommen, die unter dem Banner der Christianisierung standen.

An dieser Ostexpansion hatte der Sachsenherzog Heinrich der Löwe keinen geringen Anteil. In der ersten Phase der Raubzüge wüteten die Sachsen grausam unter den Wenden. So ist z.B. überliefert, daß nach dem Überfall der Wenden auf die von den sächsischen Eroberern besetzte Veste Michelenburg als Sanktion festgelegt wurde, daß alle männlichen Vertreter des Stammes der Obotriten, die in einem weiten Umkreis von der Michelenburg von der sächsischen Besatzungsmacht angetroffen wurden, sofort durch den Strang zu exekutieren seien.

Als ein weiteres Beispiel soll die gewaltsame Taufe von Tausenden Obotriten im Nordteil des Schweriner Sees erwähnt werden, die sich 1171 zutrug. Die Menschen wurden mit Knüppeln und Spießen ins Wasser getrieben. Für viele von ihnen endete diese "Taufe" sicherlich mit schlimmen Folgen. Heute noch wird die Stelle am Schweriner Außensee "die Döpe" genannt.

In der Folgezeit kam es dann zwischen den Sachsen und den Obotriten zu einer gewissen Aussöhnung. Wendische Stammesangehörige, die zunächst vor den Sachsen geflohen waren, kamen nach und nach wieder in ihre Heimat zurück. Sie siedelten sich oft in der Nähe von germanischen Ortschaften an. Es entstanden z.B. solche Ortsbezeichnungen wie Alt-Bleckede und Neu-Bleckede oder Lübstorf und Lübstorf-Ausbau. Die Ortschaften mit der Bezeichnung "Alt" und ohne Zusatz waren germanische Besitztümer und die Ortsteile mit "Neu" und "Ausbau" waren von Menschen slawischen Ursprungs bewohnt.

Bei der Elektrifizierung in Mecklenburg hatten wir es vorwiegend mit den "Neu"-Ortsteilen und den "Ausbauten" zu tun. Es läßt sich leicht aus dem bisher Gesagten ableiten, daß in diesen Ortsteilen nicht die reichsten Bauern lebten, sondern es waren vorwiegend sogenannte Kossäten (Katenbesitzer), d.h. sehr kleine Bauern- bezogen auf den Landbesitz- die zu Tagelöhnerdiensten verpflichtet waren.

Von der Landesregierung Mecklenburg wurde ein Neubauernsonderprogramm verabschiedet. In diesem Programm waren die Maßnahmen der Elektrifizierung eingeschlossen. Insgesamt betrug die Anzahl der Neubauern in der DDR 48000. Davon wurden 11284 in Mecklenburg angesiedelt. Für die Elektrifizierungsmaßnahmen wurden in den mecklenburgischen Bauernwäldern 20000 Bäume geschlagen, die nach einer entsprechenden Aufarbeitung und Osmotierung vor Ort (Imprägnierung) als Leitungsstützpunkte im Freileitungsbau eingesetzt wurden. Parallel dazu wurden noch in größeren Mengen Leitungsmaste aus den Ländern Sachsen und Thüringen angeliefert. Aus diesen wenigen Zahlen kann man die Größe der zu lösenden Aufgabe erkennen. "Mehr Energie für Industrie und Bevölkerung" war das Wettbewerbsmotto, welches die Monteure anspornte, hohe Leistungen bei der Elektrifizierung in Mecklenburg zu vollbringen.

Die Ende der 40er Jahre gebildeten zentralen Baubrigaden zogen buchstäblich von Ort zu Ort. Oder besser gesagt, sie wurden mit dem Ackerwagen von Ort zu Ort gefahren. Es gibt nur noch wenige Mitarbeiter unter uns, die diese Phase miterlebt und mitgestaltet haben; so z.B. die Kollegen Hans Warncke, Horst Gubba, Willi Streuber, Willi Hasenfang, Hermann Kopaß und Otto Lubinetzki. Diese Monteure waren überall gern gesehene Gäste. Mit ihrem Erscheinen war der Beginn eines neuen Abschnitts des technischen Fortschritts abgesteckt, der die Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Lande wesentlich zu verbessern half.

So eine Baubrigade setzte sich seinerzeit aus 4 Kollegen zusammen. Einer von ihnen war der bauleitende Monteur. Er war der eigentliche Fachmann. Die anderen Mitarbeiter der Brigade hatten nur z.T. eine abgeschlossene Ausbildung als Freileitungsmonteur. Sie wurden wenn nötig angelernt. Ein Zimmermann oder ein Stellmacher waren gern gesehene Mitglieder der Baubrigade, denn das Zuschneiden und Zusammensetzen von A-Masten, die in einer größeren Anzahl für das Abfangen der Zugkräfte an Winkel- und Abspannpunkten der Freileitungen benötigt wurden, ging diesen Kollegen leichter von der Hand als den anderen.

In diesem Zusammenhang soll darauf verwiesen werden, daß in den ehemaligen EVU sehr unterschiedliche Bauweisen praktiziert wurden. Hieraus wurde die Aufgabenstellung abgeleitet, eine allgemein verbindliche Bauweise für Ortsnetze im Land Mecklenburg zu entwickeln. An der Erarbeitung dieser Bau- und Montagevorschriften, die ab Oktober 1952 in Kraft gesetzt wurden, hatte der Kollege Oberingenieur Ehrenfried Bloeck einen hohen Anteil. Im Vorwort zu den Vorschriften schrieb der damalige Hpt.-Dir. der VVB Energiebezirk Nord und spätere Rektor der Ing.-Hochschule Zittau Prof.Dr. Hildebrand: "Die erhabene Aufgabenstellung, Tausende von Neubauern an das öffentliche Versorgungsnetz mit eigenen und fremden Arbeitskräften anzuschließen, machte die Schaffung einer einheitlichen Bauvorschrift für den Niederspannungs- und Ortsnetzbau zu einer ganz dringlichen Aufgabe."

Zum Beispiel stellte für das Jahr 1951 die VVB Energiebezirk Nord den Antrag, zweckbestimmt für den Bau der 15-kV-Anschlüsse, der Trafostationen und der Ortsnetze nachstehende Materialien zur Verfügung zu stellen: 2,1 t Stahlguß, 48,4 t Rundeisen, 14,2 t Flachstahl, 2,9 t Bleche, 10,7 t Profileisen, 83,4 t Cu-Seil, 2,0 t Schnüre und Leitungen, 2400 fm Holz, 480000 Stck. Mauersteine, 48000 Stck. Dachziegel, 81,0 t Zement.

In einem Schreiben des Ministeriums für Wirtschaft der Landesregierung Mecklenburg an die VVB Energiebezirk Nord vom 02.05.1949 heißt es zum Umfang der Installationen: "Die maximalen Brennstellen sind auf 3 trockene und 2 feuchte Räume zu beschränken. Steckdosen dürfen je Abnehmer nur 2 angebracht werden und zwar jeweils eine in einem trockenen und einem feuchten Raum. Die Steckdosen sind unter einem Schalter anzuordnen. Maximal 2 Kraftsteckdosen je Abnehmer werden zugestanden."

Es wurde in einem 14-tägigen Rhythmus gearbeitet, das heißt von montags früh bis zum Freitagmittag der folgenden Woche. Der Arbeitstag wurde je nach Jahreszeit optimal ausgelastet. Die Anfahrt und Abfahrt zu und von der Arbeitsstelle erfolgte entweder mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem privaten Fahrrad.

Das benötigte Material wurde durch die Betriebsdirektion angeliefert und bei einem Bauer oder Siedler in einem verschließbaren Raum eingelagert. In der Schlechtwetterperiode waren diese Transporte schon ein Problem. Ungenügend befestigte Wege mußten befahren werden. Die LKW blieben oft im Dreck stecken und mußten mit dem Traktor wieder befreit werden.

In der Regel wurden der Mittelspannungsteil und das Ortsnetz im Komplex montiert. Die erforderlichen Turmstationen (F18 oder F20) wurden von den örtlichen Bauunternehmen gebaut. Dazu wurden sie von den Territorialorganen beauflagt. Die benötigten Eisenteile wurden größtenteils bei dem nächstgelegenen Schmied gefertigt. Die Aufgabe des Kollegen Hans Rilk war es, die Standortfragen zu klären und die Koordinierungsaufgaben zu lösen. Da zwischen der Baubrigade und den künftigen Abnehmern ein weitgehender Konsens hinsichtlich der zu lösenden Aufgabe bestand, ist es verständlich, daß die künftigen Abnehmer kräftig mit Hand anlegten. Es gab demzufolge auch keine Standortprobleme und keine Probleme mit der Herstellung der Baufreiheit.

Es gab aber auch damals schon Probleme in der Materialbereitstellung, die aber anders als heute leichter lösbar waren. Es lag daran, daß das Materialsortiment einen geringen Umfang hatte und daß günstige Bedingungen für die Nutzung territorialer Ressourcen bestanden. In den ersten Jahren des Elektrifizierungsprogramms wurden noch vielfach Kupferseile verwendet. In den Folgejahren wurde dann immer mehr zu Aluminiumseilen übergegangen.

Die Baubrigaden wurden schon lange von den Bewohnern dieser Orte bzw. Ortsteile erwartet. Erschienen nun die Monteure, so wurden sie freudig begrüßt. Übernacht wurde am Ort, das heißt, bei den künftigen Abnehmern wurde Quartier gemacht. Man war bemüht, solche Lagerstätten zu finden, die von den "Lichtbringern" gerne angenommen wurden. Die Verpflegung erfolgte ebenfalls in diesen Siedlungen. Es ging reihum. Natürlich wollte man sich nicht bloßstellen; es wurde aufgetischt, was Küche und Keller hergaben. Dies war die Regel. Es gab aber hiervon auch negative Abweichungen, sowohl bei einzelnen Gastgebern wie auch bei ganzen Siedlungen.

Die anzuschließenden Ortsteile lagen oft ein bis zwei Kilometer von den Alt-Dörfern entfernt und die Häuser selbst relativ weit auseinander. Die kapitalistischen Energiebetriebe hatten deshalb einerseits nur wenig Interesse, diese Ortsteile oder einzelne Gehöfte an das öffentliche Elektroenergie-Verteilernetz anzuschließen. Das gleiche trifft auch für die Licht- und Elektrizitätsgenossenschaften zu, die in den Jahren 1920 bis 1930 gebildet wurden und in deren Eigentum sich die Ortsnetze befanden. Hier lohnte sich der Aufwand nicht. Den hohen Kosten für die Anschlußleitungen stand ein relativ geringer Energieabsatz gegenüber. Andererseits hatten diese Bürger nicht das Geld, die entsprechenden Kosten selber tragen zu können. Erst unser Arbeiter- und Bauernstaat brachte die Lösung.

Das Errichten der Ortsnetze war eine harte Arbeit. Maschinen standen nicht zur Verfügung. Schaufel, Spaten, Spitzhacke und Folgenstangen waren die wesentlichen Arbeitsmittel, die zur Verfügung standen. Der Spaten wird noch heute scherzhafterweise als UB 1 (Universalbagger) genannt. Wenn die Installationsanlagen der künftigen Abnehmer nicht schon vorher montiert worden waren, so wurden diese Arbeiten parallel zum Bau der Ortsnetze ausgeführt. Je nach Größe wurden 8 bis 12 Wochen in einem Ort gearbeitet. In dieser Zeit wurde dann und wann mal "einer kräftig zur Brust genommen" und hier und da hatten sich schon einmal zarte Bande geknüpft. Und dann kam der große Tag, das große Fest-das Lichtfest! Lange hatte man sich auf dieses Ereignis vorbereitet. Mancherorts wurde sogar aus diesem Anlaß eine Festschrift verfaßt. In ihr spiegelten sich in dieser oder jener Form anekdotenhaft die besonderen Vorkommnisse während der Montagezeit wider.

Heimlich, ohne daß es die Abnehmer merkten, wurde schon mal unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsbestimmungen die Anlage "unter Spannung gesetzt" und so eine Funktionsprüfung der Anlage vorgenommen. Die Schalter der einzelnen Brennstellen wurden in Durchgangsstellung gebracht. Hatte man dann Glück und keiner veränderte die Schalterstellung bis zum Tag der Inbetriebnahme konnte man bei Inbetriebnahme der Anlage die Schöpfungsgeschichte zitieren.

Am Tage der Abnahme der Anlagen und des Lichtfestes kam schon frühzeitig eine gewichtige Abnahmekomission in die Ortschaft. Ich will will hier nur in memoriam solche verdienstvollen Energiearbeiter nennen wie Fritz Krüger, Alfred Tamm und Jorsch Düwl. Selbstverständlich ließen es sich die künftigen Abnehmer nicht nehmen, diese Kollegen erst zu einem kräftigen Frühstück einzuladen. Es liegt kein authentisches Material darüber vor, das den Schluß zuläßt, daß schon während des Frühstücks geistige Getränke verabreicht wurden. Danach ging man an die Arbeit. Die Messung der Hochspannungsschutz- und der Niederspannungsbetriebserden war schon eine wichtige Angelegenheit. Deshalb wurde hier nicht jeder rangelassen. Diese Arbeiten behielt man sich selber vor. Die Meßergebnisse waren durch die Bank hervorragend, lagen meistens noch unter 2 Ohm. Böse Zungen behaupten allerdings, daß das verwendete Meßinstrument nie über 2 Ohm anzeigte. Schließlich wurde die Anlage zur Inbetriebnahme freigegeben.

Der große Augenblick war gekommen! Das Schaltkommando "15-kV-Trenner schließen" wurde erteilt und durch eine schaltberechtigte Person ausgeführt. Anschließend wurden die entsprechenden Kommandos zur Inbetriebnahme des Ortsnetzes erteilt. Oh, Schreck- soviel sich der Monteur auch abquälte, er bekam den Schalter nicht bewegt. Dies gab doch so manchem Einwohner dieser Ortschaft, die doch alle in einem weiten Umkreis um die Trafostation versammelt waren, Anlaß, am Zustandekommen des Lichtfestes zu zweifeln. Schließlich kam der rettende Gedanke: Es fehlt Schalteröl! Schnell wurde soviel Schalteröl herbeigeschafft, daß alle an der Handlung Teilnehmenden einen gehörigen Schluck aus der Flasche nehmen konnten und siehe da, der Schalter ließ sich betätigen.

Eine historisches Werk war vollbracht! Ein Ortsnetz stand unter Spannung! Jetzt ging es daran, die einzelnen Abnehmeranlagen in Betrieb zu setzen. Es war eine ähnliche Prozedur wie bei der Inbetriebnahme der Trafostation. Wenn der Kronleuchter dann in der Wohnstube aufleuchtete, gab es strahlende Augen. Es war ein bewegender Augenblick. Durch die Nacht zum Tag! Und die Nacht wurde im wahrsten Sinne des Wortes zum Tag gemacht.

Dann ging es darum, eine Art rituelle Handlung zu vollziehen. Prozessionsartig zog man mit einer Petroleumlampe durch den Ort. Die Lampe wurde "zu Grabe getragen". Die Beisetzung fand in der Nähe der Trafostation oder an der Friedhofsmauer statt. Nach diesem Ritual wurde mit einem Essen das Lichtfest begonnen. Es wurde viel gegessen und viel getrunken. Es wurden selbstverfaßte Gedichte vorgetragen und getanzt. Die Festteilnehmer mit einer guten Kondition verließen die gastliche Stätte erst, wenn der Morgen schon graute und im Osten das Morgenrot zu leuchten begann. Lichtfeste waren Volksfeste.

Als letzte Ortschaft in Mecklenburg wurde am 16.08.1957 die Ortschaft Weberin an das öffentliche Elektroenergieversorgungsnetz angeschlossen. Ein großes Werk wurde zum Wohle vieler Menschen auf dem Lande vollendet.